Den aufmerksamen Spaziergehenden ist vielleicht die Dachbeschaffenheit am nördlichen Ende des Fischtalparks aufgefallen. Eine Informationsstele weist darauf hin, welche Geschichte die Häuser dieser unscheinbaren Siedlung zu erzählen haben. Die Form des Dachs wurde zu einem architektonischen Politikum, das einen gesellschaftlichen Konflikt zwischen Arm und Reich spiegelte. Das Scheinargument der Dachform diente allein der Verhinderung des Zuzugs der ärmeren Bevölkerung nach Zehlendorf. Auch der Bezirk zeigte sich hier nicht von seiner besten Seite.
Die Armut in Berlin war in jenen Jahren der Weimarer Republik zwar etwas gemildert worden und die Dinge liefen in puncto Wirtschaft relativ gut, doch die Bedürftigkeit war keine Ausnahme und ein eklatanter Mangel an bezahlbarem und erträglichem Wohnraum herrschte vor. Der arme Teil der Bevölkerung hauste in jämmerlichen Mietskasernen ohne Licht und fristete das Leben in menschenunwürdigen Wohnverhältnissen. Derweil frönten die Arbeitgeber und der besitzende Adel in Lichterfelde und Zehlendorf dem Feudalismus in prächtigen Villen und oftmals mit eigenem Gartenpark. Was Zehlendorf betraf, wollte man keine Unterschichten im Bezirk. Doch die soziale Frage konnte nur mit einer Umverteilung gelöst werden, die sich auch in Sozialwohnungen äußerte.
Nach den Bauplänen der Architekten Bruno Taut, Hugo Häring und Otto Salvisberg begannen 1926 die Bauarbeiten an Häusern der Gemeinnützigen Heimstätten Spar- und Bau Aktiengesellschaft (Gehag). Es entstanden Mietswohnungen und kleine Häuser zu erschwinglichen Preisen. Das war auch deshalb möglich, weil die Bauweise ressourcenschonend gelang. Ein Teil dieser Idee waren Flachdächer. Sie ließen sich schneller und kostengünstiger bauen.
Der springende Punkt war, dass die soziale Unterschicht Zugang nach Zehlendorf erhalten sollte. Man kann sich gerade heute gut vorstellen, wie die Ressentiments Einzug in die öffentliche Debatte fanden. Schon damals war das nicht ohne vorgeschobenes Argument möglich, also fand man schnell ein Scheinargument, die Bauten zu verhindern. Der vermeintliche Stein des Anstoßes war das Flachdach. Die konservativen Kräfte der Weimarer Republik argumentierten gegen das Flachdach und das Bezirksamt verwehrte deswegen die Baugenehmigung. Schon die damaligen Medien erkannten hinter dem Manöver, dass sich Zehlendorf gegen den Zuzug von ‚Gewöhnlichen‘ wehrte. Eine Gruppe Architekten begutachtete die Baupläne vor dem Hintergrund des ‚Ortsgesetzes zum Schutze der Stadt Berlin vor Verunstaltung‘, und versagten die Baugenehmigung. Ein weiterer Kritikpunkt war die nicht geplante Fällung von Birken am Fischtalpark. Der Bauplan sah zwar nicht vor, dass einige Birken gefällt werden sollten, aber das Bezirksamt sah dies kommen. Die Baugenehmigung erteilte letztlich die darüber liegende Berliner Behörde der Zentralverwaltung von Groß-Berlin und auch die SPD-geführte Regierung setzte sich dafür ein. Offiziell und verbissen stieß die Art und Weise des Bauens auf ästhetische Bedenken, die der Ablehnung der Moderne und der Aufklärung verpflichtet waren. Auch die Sicht auf die Bäume wurde ins Feld geführt, doch die Architekten versicherten, dass das Flachdach die Sicht erlaube.
Bis 1931 wuchs die Onkel-Tom-Siedlung in mehreren Abschnitten auf 1.106 Wohnungen und 486 Einfamilienreihenhäuser. Die meisten schuf der Architekt Taut. Taut baute auch Satteldächer, wie es das konservative Weltbild zwingend vorgab, aber in dieser Siedlung entflammte sich der Streit über die Dachform. Es war ein Fachstreit unter Architekten und es standen sich die traditionelle Stuttgarter Schule und die Berliner Schule des „Neuen Bauens“ gegenüber, was zu einem Politikum wurde. Der Vertreter der progressiveren Schule, Bruno Taut, sah im Giebeldach verschwendeten Platz.
Doch es war nur eine Schlacht in der Auseinandersetzung um den weiteren Zuzug der Arbeiterbevölkerung in den wohlhabenden Bezirk der Villen. Die Versuchssiedlung ‚Siedlung am Fischtalgrund“ für die Ausstellung „Bauen und Wohnen“, die bis zum Herbst 1929 lief, sollte Mittelstandslösungen aufzeigen. Das goss neues Öl ins Feuer im Streit. Zehn Jahre später errichtete man weiter Häuser. Der dünne Streifen zwischen der Onkel-Tom-Siedlung und dem Grünstreifen zum Fischtalpark wurde mit individuell zugeschnittenen Häusern mit Satteldach bebaut. Deshalb sieht man heute in der Siedlung beim Fischtalpark / Onkel-Tom-Siedlung zweierlei Haustypen – mit Sattel- und Flachdach.
Dieses Mal war die Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten (Gagfah) die Auftraggeberin und das Satteldach war eine einzuhaltende Vorgabe für die Bewerbung. Die Architekten dieses Häusertyps waren beispielsweise Heinrich Tessenow, Hans Poelzig oder Paul Schmitthenner. Letzterer war radikaler Vertreter der Satteldächer. Er war Mitglied der NSDAP, die in Zehlendorf mehr Stimmen erhielt als in anderen Stadtteilen, und gründete die „Stuttgarter Schule“. Er entwarf übrigens das Haus ‚Am Fischtal 4‘ nach den konservativen Bauvorstellungen.
So lagen sich die beiden Haustypen an der Straße Am Fischtal gegenüber. Der Streit über die Form der Dächer stand sich nirgends so nah gegenüber wie in Zehlendorf und es blieb ein heißes Thema. Es entzündete sich an einem vorgeschobenen Argument ein Streit, der weiter schwelte. Das Flachdach wurde mit Beschimpfungen und Diskreditierungen emotional aufgeladen. Es sei „süddeutsch“, obwohl die Stuttgarter Schule auf der Satteldach-Seite stand. Schließlich kam das Flachdach in den Ruf, dem Bolschewismus entsprungen zu sein. Ein richtiger Preuße baut ein steiles Satteldach. Daher spricht man hierbei auch von einem Krieg, obgleich es keine militärischen Auseinandersetzungen gab. Doch außerhalb von Zehlendorf, so spiegelten es auch die meisten Medien dieser Tage wider, sah man die Satteldachhäuser als Gegenreaktion auf die Moderne. Die Siedlung ‚Am Fischtal‘ wurde als gewollte Blockade der Moderne zur Natur erachtet, da die Häuserzeile mit Satteldach den Fischtalpark von der Onkel-Tom-Siedlung abgrenzte. Hinzu kamen einige Mängel der von der ‚Stuttgarter Schule‘ gebauten Häuser in Bezug auf die Raumaufteilung und die Fensterplatzierung. Die Gagfah ging anschließend auch zu Flachdachkonstruktionen über.
Die Stimmung in der Bevölkerung war durch die rechtsradikale Propaganda und die wirtschaftlichen Missstände angespannt und entlud sich an solchen Scheindebatten, die von den wahren Missständen ablenkten. Es ist nicht auszuschließen, dass auch kommerzielle Interessen bei dieser gesellschaftlichen Spannung eine Rolle spielten.
Bruno Tauts Siedlung bekam auch wegen der bunten Häuser den Namen Papageiensiedlung. Einige seiner Siedlungen wurden zum Unesco Weltkulturerbe erklärt. Die Onkel-Tom-Siedlung gehört jedoch nicht dazu, da es zu baulichen Veränderungen gekommen war. Der Architekt Bruno Taut floh 1933 vor den Nazis ins Exil, wo er wenige Jahre später verstarb.
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