Für den Südwestfriedhof Stahnsdorf sollte man sich etwas Zeit mitnehmen. Jedoch mutet es einer Lebensaufgabe an, alle Ecken mit allen Gräbern dieser Anlage erkundet zu haben. An einem schönen Tag schwingt man sich auf das Fahrrad und fährt den Kanal hinunter, vorbei am alten NVA-Truppenübungsplatz bis zum Friedhof. Wenn man das Tor passiert, liegt ein zentraler Weg vor den Besuchenden. Dieser führt in gerader Linie weiter und kommt an der Friedhofskapelle vorbei, die im Stil der norwegischen Stabkirchen gebaut wurde. Da muss man schon einige Kilometer zurücklegen, um eine ähnliche Kirche zu finden. Und obwohl dieser Bau allein einen Besuch wert ist, ist es der weitläufige Park, der das Interesse entfesselt. Schon von Beginn an kann man sich in alle Richtungen durchschlagen.
Mein Weg führte mich nach Norden zu den alten Grabsteinen, die in den 30er Jahren hierher verlegt wurden. Das suchende Auge wird schon bald von kleinen und großen Mausoleen erwartet. Vor den mächtigen Wänden eingebettet, verströmen die Figuren einen anmutenden Zauber. Mit jedem Schritt gelangt etwas Neues ins Sichtfeld. Kaum ist der Blick an einem Grabdenkmal haften geblieben, schon drängt das neugierige Auge zu einer weiteren Erkundung. Die Kunstwerke, die die Lebenden ihren Toten mitgegeben haben, sind so vielfältig, wie sie schön sind.
Die Vielzahl an Objekten, ja schon eine Handvoll davon, ist Grund genug für einen Besuch. Darüber hinaus flüstern versteckte und friedliche Winkel ein Willkommen aus. Der Einladung folgend, wird man mit weiteren Gedenksteinen und Gartenschönheiten belohnt. Veraltete Gräber, verträumte Engel und eben viel, viel Natur sind das Angebot, das zu jeder Jahreszeit lohnt. Das Frühjahr lässt die Rhododendren blühen und das bunte Laubkleid legt der Friedhofsbaum natürlich im Herbst an.
Unvermittelt nach einer Biegung stehe ich vor einem Brunnen, der aus dem Schloss Sanssouci stammen könnte. Eine Weggabelung später befinde ich mich vor einem Gräberfeld eines der blutigen Kriege, die die Jahrhunderte beschäftigten. Die Toten verschiedener Länder teilen sich nach den Weltkriegen den märkischen Boden mit den Berlinerinnen und Berlinern des 20. und 21. Jahrhunderts.
Und als die Glieder ermüdeten, fand sich alle Meter eine Bank und selbst ein kleines offenes Hüttchen erspähte ich, welche bei Bedarf die Regenwolken abzuwarten hilft. Monument um Monument später wird klar, der Tag war nicht lang genug, um auch nur einen größeren Ausschnitt der gesamten Anlage zu erspähen.
In der Überschrift findet sich der wahre Name des Südwestfriedhofs, den aber kaum jemand kennt, respektive nutzt. Die Eröffnungsfeier fand im Jahr 1909 statt und ist verbunden mit der Einrichtung eines Zugverkehrs bis zum Friedhof.
Der Name rührt von seiner Position im Verhältnis zu Berlin her, denn den Friedhof in Stahnsdorf legte die evangelische Kirche eigens für Berlinerinnen und Berliner an. Die Bevölkerungszahlen und damit die Zahl der Toten stiegen stark an. Dafür erwarb man 206 Hektar Land und schuf den zweitgrößten Friedhof in Deutschland. Ein Denkmal ist das Areal zweifelsohne.
Auch damals, als der Friedhof geplant wurde, machte sich Widerstand gegen Großprojekte breit, doch das königliche Konsistorium entschied sich für die Lage in Stahnsdorf. Ein Wettbewerb wurde 1907 ausgeschrieben. Dessen ungeachtet erhielt der Garteningenieur der Berliner Stadtsynode, Louis Meyer, den Auftrag.
Die Organisation der Grablegung erfolgte ganz untraditionell in Blocks. Die sind heute noch zu finden und nach Gruppen wie Wilhelmsdorf oder Reformation benannt.
Der Friedhof war durch seine Offenheit auch bei der Prominenz der Weimarer Republik beliebt. Die Gräber von Prominenten der damaligen Zeit sind hier zu finden, darunter auch das Grab des Filmemachers Murnau, der in einer begehbaren Gruft liegt. Außerdem liegen hier zahlreiche Schauspielende, Großindustrielle oder Kulturschaffende, die in den Tagen der Goldenen Jahre jedem und jeder ein Begriff war.
Die Nazis verlegten einige Gräber in den nördlichen Teil des Friedhofs, um Platz für die schwachsinnige Idee von Berlin als Germania umzusetzen. Auch verhinderte man derart die Anlegung neuer Friedhöfe in Berlin.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden ebenfalls Tote auf dem Südwestfriedhof beerdigt. So zum Beispiel im Jahr 1949. Die Gräber bei der Garnisonskirche in Mitte, die dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen war, wurden hier bestattet. Dies war von den Sowjets veranlasst worden, da die Gräber mehrfach geplündert wurden.
Ab 1982 wurden Friedhofsteile unter Denkmal gestellt, aber das weitläufige Gelände wurde dem Verfall anheimgestellt. Nach der Wiedervereinigung begannen die Restaurierungsmaßnahmen. Die evangelische Kirche übernahm die Regie und heute ist es einer der schönsten Friedhöfe in Berlin-Brandenburg.
Die Zahl der Beerdigungen blieb zwar gering, aber sie nimmt in den letzten Jahren wieder zu. Die Instandsetzungen der historischen Grabmäler gelingen dank des Fördervereins Südwestkirchhof Stahnsdorf e. V.
Die evangelische Kirche hat nicht nur den Friedhof organisiert, sondern auch die Bahnverbindung dahin in großen Anteilen getragen. Schließlich war der König auch Oberhaupt der Kirche. Die Bahnverbindung, die heute als Friedhofsbahn bekannt ist, legte den Grundstein für den Flächenfriedhof. Schließlich wurden die vielen Särge damit transportiert. Die S-Bahn, die 1913 eröffnet wurde, reichte fast viereinhalb Kilometer vom Wannsee bis zum Friedhof in Stahnsdorf. Im Berliner Jargon, dem Berolinismus, etablierten sich auch die Begriffe Leichenbahn oder Witwenbahn, welche das Ende der Strecke nicht überdauerten. So erreichten 35.000 Leichen den Friedhof innerhalb von 25 Jahren. Darunter eben nicht nur Menschen, die zu Lebzeiten der preußischen Hauptreligion angehörten.
Das Ende der Bahn begann durch die Sprengung der Brücke über den Teltowkanal durch die Wehrmacht. Zwar wurde diese Brücke wieder aufgebaut, doch die Ereignisse des 17. Juni 1953 und schließlich die Deutsche Teilung restringierte die Besuche aus dem Westen. Damit wurde der Zugverkehr gänzlich unterbrochen. Der ehemalige Bahnhof wurde 1976 durch die DDR gesprengt. Der Friedhof war fortan vor allem für Menschen aus dem Osten vorgesehen.
Allein die Größe lässt eine Kirche vermuten, aber ohne Schäfchen ist es eigentlich eine Kapelle. Die Friedhofskapelle wurde 1911 nach den Vorstellungen des Architekten Gustav Werner gebaut, der seine letzte Ruhe gegenüber der Kapelle gefunden hat. Dem protestantischen Gedanken gewidmet ist sie innerlich wenig prunkvoll, wartet aber doch mit bunten Glasfenstern der damaligen Zeit auf – dem Jugendstil.
Auch wenn der Kirchhof im Jahr 1982 unter Denkmalschutz gestellt wurde, blieben viele – auch kunsthistorisch wertvolle – Grabmäler ihrem natürlichen Verfall überlassen.
Heute ist die Kirche nicht nur für Trauerfeierlichkeiten in Nutzung, sondern gleichfalls auch ein Platz für Events. Es gibt Filmvorstellungen und Konzerte. In Führungen kann man mehr über das Gebäude und den Friedhof als solches erfahren.
Bei dem Gang durch die Nekropole wird deutlich, dass sich eine Vielzahl von Tieren in dem Raum niedergelassen haben. Dutzende Vogelarten nutzen das Gelände zum Brüten, darunter auch Raubvögel und Kauze. Die Zäune sind geschlossen zu halten, dennoch sollen sich auch Wildschweine und Rehe auf dem Areal herumtreiben. Ein besonderes Augenmerk gilt den angestammten Fledermäusen, die sich tagsüber in so manche Gruft zurückgezogen haben.
Es gibt keine Liste mit allen Gräbern und wo sie auf dem Gelände liegen. Die Aufteilung des Geländes erfolgte in Blöcken, die eine Grundorientierung bieten. Dennoch kann man, wie erwähnt, immer wieder etwas Neues entdecken.
Die Liste an bekannten Persönlichkeiten, die auf dem rund zwei Millionen Quadratmeter großen Friedhof ihre letzte Ruhe gefunden haben, ist sehr lang. Es finden sich hier Kunst- und Kulturschaffende, Reiche, Wissenschaffende, Verwaltungsangestellte, Politikerinnen und Politiker, Militär- und Polizeiangehörige, Architekten, Sportler*innen, Widerstandskämpfende und Unternehmende.
Unter ihnen befinden sich solch illustren Namen, die heute noch landläufig bekannt sind. Wie Rudolf Breitscheid (SPD-Politiker), Ernst Gennat (Kriminalist), Walter Gropius (Architekt), Dieter Thomas Heck (Showmaster), Manfred Krug (Schauspieler), Gustav Langenscheidt (Verleger), Otto Graf Lambsdorff (FDP-Politiker), Familie Siemens, Ingrid Steeger (Schauspielerin) und Louis-Ferdinand Ullstein (Verleger). Ein ausgeschildertes Grab ist jenes des Malers Heinrich Zille.
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