Categories: BerlinZehlendorf

Standesamt Zehlendorf | Villa Sidonie

Warum die Bücher des Standesamts die Initialzündung der Bevölkerungsstatistik sind und über die Geschichte der Sidonie Villa, in welchem heute das Standesamt Zehlendorf untergebracht ist.

Auf dem Gelände im Zentrum der Reste des Dorfangers in Zehlendorf steht heute eine Villa, vor der sich regelmäßig Paare versammeln. Gemeint ist das Standesamt von Zehlendorf. In der sogenannten Villa Sidonie, heute besser als Hochzeitsvilla bekannt, geben sich die Menschen seitdem beginnenden 20. Jahrhundert das ‚Ja-Wort‘. Diese formelle Liebeserklärung war in Zehlendorf auch der Zündfunke für die Bevölkerungsstatistik.

Zehlendorfs Lehnschulzengut

Seit der Gründung Zehlendorfs auf dem Reißbrett befand sich an der Stelle des Standesamts der Hof des Schulzen, was heute ein Bürgermeister wäre. Im Jahr 1836 erwarb Andreas Scharfe diesen Hof, der damals noch als Lehen vergeben wurde. Die Familie Scharfe war wohlhabend und hatte zwei Töchter. Die Schwester von Sidonie, Marie Scharfe, heiratete Julius Pasewaldt, welcher das Gutsgelände ab 1870 übernahm. Doch eine Hälfte des Areals erbte Sidonie Scharfe.

Auf einem Teil des früheren Schulzenguts, etwa dort, wo zuvor die Brennerei und ein Wirtschaftsgebäude standen, ließ sich Sidonie Scharfe ein repräsentatives Wohnhaus errichten. Sie beauftragte 1891 den Maurermeister Fritz Schirmer, der nach einem Jahr fertig war.

Es entstand die Villa im Stil des frühen Klassizismus mit einem Mansardendach und dem Giebelaufbau sowie Anleihen im Barock, wie sich das Haus bis in der Gegenwart darstellt. Der breite Treppenansatz ist im Stil der Zeit und erinnert an Renaissancebauten. Der Mix der Baustile ist auch dem Historismus geschuldet, der sich in diesen Tagen in seiner späten Phase befand.

Wer war Sidonie Scharfe?

Sidonie Scharfe ging als Wohltäterin in Zehlendorfs Geschichte ein. Ihr ist eine Straße gewidmet und ihr Kleid befindet sich im Heimatmuseum Zehlendorf. Sie blieb kinderlos und heiratete auch nicht, weshalb sie ihr Haus wohl der Gemeinde vermachte. Außerdem gründete sie bereits 1891 das Wilhelm-Friedrich-Stift, das als Verein noch heute im Gemeindewäldchen Zehlendorf steht. Die Stiftung bot Wohnraum für Mägde und Knechte, die nicht in Anstellung waren.

Es war eine Zeit des Umbruchs, der vor allem die Ärmsten traf. Das landwirtschaftlich geprägte Zehlendorf wandelte sich mehr und mehr zu einem Industriestandort. Der Teltowkanal entstand in diesem Zuge 1906. Der Wandel brachte neue Arbeitsweisen mit sich und die Landwirtschaft brauchte keine Arbeitskräfte mehr.

Scharfe stiftete auch den Grund für die Pauluskirche und war an der Gründung des Vereins „Haus Schönow“ beteiligt, welcher Nervenleiden behandelte. Heute ist das Areal am Teltower Damm das evangelische Pflegeheim Schönow.

Ihr Altruismus sollte ihr Leben überdauern, sodass ihr Vermögen in die Stiftung für Frauen floss – die Sidonie-Scharfe-Stiftung, die es bis heute gibt und die ein Seniorinnenwohnheim in der Scharfestraße stellt.

Sidonie Scharfe starb 1909 im Alter von 75 Jahren in Zehlendorf und liegt auf dem Kirchhof der Zehlendorfer Dorfkirche begraben.

Standesamt und die Verstaatlichung

Noch bis zum letzten Viertel des 19. Jahrhunderts war die Kirche für die Bürokratie und menschlichen Dinge zuständig. Nur Christenmenschen durften beerdigt oder verheiratet werden. Davon zeugt auch der sogenannte Selbstmörderfriedhof im Grunewald, denn diese armen Seelen fanden keinen Platz auf einem kirchlichen Friedhof. Das änderte sich im Jahr 1874 per Reichsdekret.

Trotz heftigem Widerstand der Kirche übernahmen Ämter die Vermessung der Menschen – von der Geburt bis zur Bahre. Die Kirchen fürchteten gar, man wolle ihre Religion demontieren. Per Gesetz entstanden die Standesämter, wovon es im späteren Groß-Berlin 40 Stück gab. Bevor es soweit kam, wurde diese Idee anhand der Standesämter vorweggenommen. Der Zweckverband Groß-Berlin wurde bereits 1912 gebildet und reichte über die Stadtgrenzen von Berlin hinaus. Es entstanden 94 preußische Standesämter und eines davon war das Standesamt Berlin-Zehlendorf.

Johann Peter Süßmilch und die Bevölkerungsstatistik

Die Kirchenbücher über die menschliche Erfassung dienten dann dem Zehlendorfer Pfarrer Johann Peter Süßmilch als Grundlage der Bevölkerungsstatistik. Süßmilch lebte im 18. Jahrhundert und gilt als Vater dieser Wissenschaftsdisziplin.

Schon mit 34 Jahren, im Jahr 1741, veröffentlichte er das Werk ‚Die Göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben‘, das als Initialzündung der Demografie gilt. Als Grundlage dienten ihm die Kirchenbücher von Zehlendorf, dessen ältestes von 1642 ist.

Vier Jahre später wurde er Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften und er war mit Lessing und Kant bekannt. Nach Süßmilch ist ein Weg am Kastanienhof benannt.

Die nun amtliche Aufgabe erfolgte im Jahr 1874 durch einen Beamten, meist von einen Schulzen oder Ortsvorsteher gestellt. Es oblag ihnen dieses Amt auszufüllen. In Zehlendorf war das der Schwager von Sidonie: Julius Pasewaldt. Sein erster der vielen gewissenhaften Einträge von Geburt, Tod und Hochzeit war am 5. Oktober 1874 mit Anmeldung der Niederkunft von Bertha Martha Lonowski. Es war der erste von 49 Einträgen des ersten Jahres des Standesamtes. Auf Pasewaldt folgte 1889 ein angestellter Amtsmann, der Hauptmann a.D. Hermann Milinowski.

Am Anfang befand sich das Standesamt in der Hauptstraße 33, das heute der Teltower Damm ist. Ab 1888 zog das Amt in die Potsdamer Straße 6 um, von wo es 1909 zwei Häuser weiter zog und ab 1929 Teil des Rathauses wurde. Bis 1924 gab es sogar ein Standesamt auf der Pfaueninsel, das dem von Wannsee zugeordnet wurde. Außerdem gab es neben Zehlendorf noch die Standesämter Dahlem und Nikolassee bis 1920.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Standesamt Zehlendorf die besondere Befugnis, deutsche Staatsangehörige mit US-amerikanischen Militärs zu verheiraten. Das galt unabhängig von einer Adresse in Berlin. Ab 1961 schloss das Bürger*innen aus dem Ost-Teil aus, da sie zur Hochzeit nicht mehr anreisen konnten.

Im Jahr 1969 sollte die Villa für einen Parkplatz an ihrer Stelle abgerissen werden. Dem damaligen SPD-Bezirksbürgermeister Hans-Joachim Schnitzer ist es zu verdanken, dass der Ort für Trauungen mit 16 Sitzplätzen bestehen blieb.

Wo befindet sich das Standesamt Zehlendorf?

  • Teltower Damm 10
  • 14169 Berlin
  • GPS: 52.43419458836286, 13.259210116078933

meister

View Comments

  • Jeder Besucher sollte sich vorher ausgiebig Gedanken machen ob er in die Hochzeitsvilla gehen sollte!
    Möglich sind eine Sackgasse ohne Wendemöglickeit oder eine lebenslange Einbahnstrasse.
    Ich selbst habe den Gang erfolgreich bestanden!

Recent Posts

Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) – Sabotage in der DDR und die StaSi-Antwort

KgU ist ein besonderes Kürzel der Spionagetätigkeit des Kalten Kriegs. Einst genoss diese Organisation großes…

2 Wochen ago

Sputendorf und seine Dorfkirche

Der kleine Ort Sputendorf liegt rund fünf Kilometer südlich von Stahnsdorf, deren Gemeinde es auch…

3 Wochen ago

Der Teltower-Rübchen-Beitrag und das Bild des Irrtums

Das Teltower-Rübchen-Bild und ich. Eine Anekdote über den Artikel zum Rübchen, wie sie nur das…

4 Wochen ago

Günter Duwe & die Renaissance des Teltower Rübchens

Die Renaissance des Teltower Rübchens nach dem Zweiten Weltkrieg gelang dank des Einsatzes des Teltower…

1 Monat ago

Weihnachts- und Adventsmärkte – Berliner Südwesten, Großraum TKS bis nach Potsdam | 2024

Wenn die Weihnachtsmärkte beginnen, wird das Weihnachtsfeeling geweckt. Und es geht los! Die besinnliche Adventszeit…

1 Monat ago

Südwestfriedhof Stahnsdorf im Herbstkleid

Der Südwestfriedhof in Stahnsdorf ist immer eine Reise wert! Dieses Mal war Jochen Schulze Buschoff…

2 Monaten ago