In der Limastraße 29 am Schlachtensee steht ein besonderes Haus, dessen Geschichte auch die furchtbare Zeit der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung widerspiegelt.

Das Anwesen in der Limastraße 29 an der Ecke Kloppstockstraße sticht den Betrachenden nicht gleich ins Auge. Eine Mauer umgibt das Areal. Doch wenn man erst mal erblickt hat, dann bleibt es in Erinnerung. Vor allem, wenn man die Geschichte des Hauses kennt.

Geschichte der Villa | Muthesius-Villa

Ende des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Villen auf dem Gebiet südlich des Schlachtenssees, das heute zum Bezirk Zehlendorf gehört. Die spätere Schocken-Villa wurde vom Architekten Hermann Muthesius errichtet. Der Auftraggeber war Gustav von Velsen, der als preußischer Oberberghauptmann tätig war. Dieser Beruf bezeichnet eine hohe Position in der Bergbau-Industrie Preußens, die er ab 1900 bekleidete. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie, deren Mitglieder viele hohe Posten in Preußen innehatten.

Die Villa wurde 1907 für ihn und seine Familie gebaut. Drei Jahre später starb seine Frau Anna von Velsen, die bei der Auswahl des Baustils eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Sie lehnte den Stil der Zeit, den Historismus ab. Dieser Historismus ahmt die mittelalterlichen Baustile der Gotik oder des Barock nach, wobei man dem Stil das Präfix “Neo-” beifügt. Sie sorgte dafür, dass der Architekt Hermann Muthesius den Zuschlag erhielt. Ein Grundriss der Villa mit der Aufteilung und Nutzung der Räume findet man hier.

Wer war er Architekt Hermann Muthesius?

Der Architekt Hermann Muthesius gilt als Wegbereiter des Funktionalismus, wobei der Begriff erst später die Runde machte. Er lehnte die bisherigen Bauweisen ab und öffnete sich der Moderne, die sich vor allem durch Sachlichkeit auszeichnete. Das verband er mit der erfindungsreichen Gründerzeit, die den Fortschritt in alle Lebenssphären vordringen ließe. Er zählt mit Gropius zu den Reformisten in der damaligen Architektur, die in Berlin auch zum Zehlendorfer Dächerkrieg führte. Ihm wurde jedoch eine preußische Beamtenart nachgesagt, weshalb er innerhalb der Strömung umstritten war. Muthesius führe viele Umbauten durch und war Planer zahlreiche Häuser in Berlin Steglitz-Zehlendorf. Seine Ideen wurden in Berlin-Grunewald, Dahlem, Schlachtensee, Nikolassee, Zehlendorf und Lichterfelde fertiggestellt. Die Errichtung des Landhauses für die Familie von Velsen dauerte etwa ein Jahr.

Die Schocken-Villa

Ein Jahr nach dem Tod des Bergbau-Direktors von Velsen bezieht die Familie Schocken das Areal in der damaligen Lessingstraße 29. Seit 1936 ist es die Limastraße. Er war Firmeninhaber und auch Bauherr. Er verwirklichte seine Projekte, die in Chemnitz und Stuttgart standen, mithilfe des Architekten Erich Mendelsohn. Mendelsohn war ebenfalls ein Architekt der Moderne und aus seiner Planung stammen beispielsweise das Mossehaus in Berlin oder den Einsteinturm in Potsdam.

Die dramatische Geschichte des Salmann Schocken

Salman und sein Bruder Simon Schocken waren Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Salman arbeitete im Warenhaus in Zwickau seines Bruders Simon, mit dem er die Expansion im Raum Chemnitz bis Stuttgart vorantrieb. Dessen ungeachtet eröffnete ein weiterer Bruder namens Julius Schocken Kaufhäuser in Bremerhaven, die aber mit den Warenhäusern in Verbindung standen. Nach dem tödlichen Unfall von Simon Schocken übernahm Salman die Führung der Warenhäuser.

Dank des florierenden Geschäfts konnte Salman jüdische Projekte unterstützen. Im Jahr 1915 gründete er mit Martin Buber die Zeitschrift ‘Der Jude’, 1929 etablierte er das Schocken-Institut für hebräische Poesie und 1931 schuf er den Schocken Verlag, der jüdische Autoren publizierte. Zu den Autoren zählte auch Franz Kafka. In diesem Zusammenhang sammelte Schocken Texte und Kunst mit Vorzug aus dem Bereich Judaica.

Vor allem die Schocken-Kaufhäuser sind in Deutschland bekannt gewesen. Ihre Werbung leuchtete in vielen Städten. Allerdings gab es in Berlin keines der Kaufhäuser. Als Arbeitgeber war Schocken beliebt, da er gut zahlte und soziale Errungenschaften wie Urlaubsgeld oder Mutterschaftszeit etablierte.

Das Ende der Schocken Villa in Zehlendorf

Ein Jahr nach der Machtergreifung durch die deutschen Faschisten emigrierte die Familie Schocken nach Palästina, wo sich Schocken erneut als Verleger hervortat. Sein Verlag in Berlin wurde 1938 geschlossen. Im Jahre 1940 wanderte die Familie in die USA aus, wo er ebenfalls Verlage gründete und beispielsweise die Texte von Hannah Arendt publizierte. Derweil wurden seine Warenhäuser zwangsverkauft und unter dem Dach der Merkur AG zusammengenommen.

Die Villa verlor die Familie ebenfalls 1938. Er wurde vor die Wahl gestellt, enteignet zu werden oder dem Verkauf unter Wert zuzustimmen. Dabei wurden ihm auch vermeintliche Steuerschulden erlassen. Damit war die Villa frei für einen Schergen der Nazis, der ebenfalls ein Industrieboss war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Schocken die Teile der Warenhäuser Merkur, die sich nicht von der sowjetischen Besatzungszone befanden, zurückerhalten und verkaufte sie 1953 an Horten. 1959 starb er in der Schweiz auf einer Reise.

Was geschah mit der Schocken Villa? UfJ-Domizil

Da die Villa in Zehlendorf zum US-amerikanischen Sektor gehörte, wurde sie von der CIA beschlagnahmt. In den Räumen verbreitete sich das Klima des Kalten Kriegs. Der nicht unumstrittene Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ) unternahm von hier aus Maßnahmen gegen das Unrecht in der DDR. Viele Exilsuchende aus der DDR fanden hier einen Anlaufpunkt und die führenden Köpfe dieses UfJ wurden von Stasi-Agenten entführt. Sie brachten sie auf das Gebiet der DDR, wo sie verurteilt und teils in der Sowjetunion hingerichtet wurden. Der UfJ wurde 1969 obsolet.

Besetzte Muthesius-Villa 1981

In der Zeit der Wohnungsbesetzer der 80er Jahre konnte man den Leerstand in der Villa nicht mehr akzeptieren. Über vier Jahre stand das Anwesen leer. In einem Flugblatt erklärten die Studierenden von 1981, warum sie die Villa besetzten. Der Wohnraum fehlte und der SPD-Senat erklärte, es gäbe kein Geld für neue Universitätsneubauten. Die ausufernden Bauskandale der Verantwortlichen und die Wohnungsnot ignorierende Immobilienpolitik ließ die Studierenden tätig werden.

Stolpersteine an der Schocken-Villa in Zehlendorf

Die frühe Auswanderung aus Deutschland 1934 bewahrte das Leben der jüdischen Familie Schocken, die hier lebte. Zur Erinnerung an die Familie Schocken mit ihren fünf Kindern wurden am 23. März 2023 Stolpersteine im Bereich der Villa verlegt.

Wo befindet sich die Schocken Villa?

  • Limastraße 29
  • 14163 Berlin-Zehlendorf
  • GPS: 52.44296082228946, 13.229965449244515

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