Nach 15 Jahren endete 1991 der vierte Prozess um den Mord an Ulrich Schmücker an der Krummen Lanke im Grunewald. Einen Mörder konnte man nicht dingfest machen, aber jede Menge illegale Machenschaften von Justiz und Verfassungsschutz. Hier nun der zweite Teil des Mords an einem Terroristen und V-Mann des Verfassungsschutzes in Berlin, der mit einem spektakulären Justizskandal endete.

Der erste Teil findet sich hier: Schmücker-Mord im Grunewald | Verrat, Verräter & Verfassungsschutz-Skandal – Teil 1

Bei der Recherche bin ich auf eine Dokumentation über diesen Mord gestoßen, welche unterhalb des Textes verlinkt ist.  

Was bisher geschah: Der junge Ulrich Schmücker wollte Pfarrer werden, aber er radikalisierte sich im Angesicht des Vietnam-Kriegs. Er zog für das Studium nach Berlin und trat der militanten Bewegung 2. Juni bei. Dort gab es vor allem Aktionen gegen die US-Truppen, aber auch aus Solidarität gegenüber anderen Gruppierungen. Als Schmücker von der Polizei erwischt wurde, nutzte der Verfassungsschutz seine Verzweiflung im Gefängnis aus und machte den überzeugten Schmücker zum V-Mann. Sein Kontaktmann war Michael Grünhagen, den er als Peter Rühl kannte.

Ulrich Schmücker wurde enttarnt. Seine Freunde und Genossen schlossen ihn aus und seine Freundin verließ ihn und trieb das gemeinsame Kind ab. Schmücker war psychisch schwer angeschlagen. Am 5. Juni 1974 in der Nähe der Krummen Lanke wurde ihm mit einer Pistole der Marke Luger in den Kopf geschossen. Wer aber hat ihn ermordet?

Grünhagen hatte einige verdeckte Mitarbeiter in der terroristischen Szene untergebracht. Dazu zählte auch Volker Weingraber, der kurz nach dem Mord im Besitz der Tatwaffe war. Auch Götz Tilgener könnte der Täter gewesen sein. Und wie selbstverständlich steht Tilgener gleichfalls im Zwielicht von Terrorismus und Verfassungsschutz. Er gab ein viel beachtetes Interview im Fernsehen, das in dieser Geschichte ebenfalls eine Rolle gespielt haben dürfte.

Der Justizskandal beginnt: Verfassungsschutz und Justiz greifen tief in die Kiste der illegalen Mittel

Ulrich Schmücker fühlte sich bedroht und wollte von Grünhagen eine Waffe haben. In diesem Gespräch nannte er gegenüber Grünhagen andere Namen als jene, die nun wegen des Mords an Schmücker verhaftet wurden. Zu den Angeklagten zählten Ilse Schwipper und Jürgen Bodeux, die zu der Wolfsburger Gruppe gehörten. Der Mörder soll Wolfgang Weßlau gewesen sein.

Wie sich später herausstellte, war der Verfassungsschützer Grünhagen von Beginn an dabei, die Beweise zu manipulieren. Die Behörden zogen alle Register, denn die Verbindungen führten in die Chefetage des Verfassungsschutzes und sogar weiter bis zum damaligen Innensenator Kurt Neubauer. Grünhagen arbeitete auch mit dem Staatsanwalt Jürgen Przytarski zusammen. Ihre Ziele waren, den Verfassungsschutz herauszuhalten und die Wolfsburger Gruppe zu belasten. Ihre Mittel gingen weit über das hinaus, was in einem Rechtsstaat möglich sein darf. Möglicherweise sogar ein Verdeckungsmord?

Ermordete der Verfassungsschutz Götz Tilgener?

Es ist nicht nachweisbar, dass der Verfassungsschutz einen Mord begangen hat, um seine Machenschaften zu verdecken. Die Frage, ob der Verfassungsschutz auch Ulrich Schmücker auf dem Gewissen hat, ist ebenfalls offen.

Wenn man allerdings die zahlreichen Manipulationen von Beweismitteln bedenkt, die illegalen Maßnahmen wie Freiheitsberaubung im Amt oder die Beeinflussung und der Kauf von Zeugen, dann bleibt ein schaler Geschmack zurück.

Einer dieser Zeugen im Prozess gegen die Wolfsburger Gruppe war Götz Tilgener, der selbst auf der Anklagebank saß. Seinen Tod besiegelte womöglich sein Geltungsdrang, als er im Fernsehen aussagte. Was damals nicht bekannt war, er war selbst V-Mann des Verfassungsschutzes. Im selben Jahr, in dem Götz Tilgener dem Politikmagazin Panorama ein Fernseh-Interview gab, im Jahr 1975, verstarb er unter mysteriösen Bedingungen. Er bekannte sich dazu, dass er Schmücker auf Geheiß der Terroristen umbringen sollte. Doch er gab an, dass er es aus Sympathie gegenüber Schmücker nicht übers Herz brachte.

Sagte er in seinem TV-Auftritt etwas, dass dem Verfassungsschutz nicht gefiel? War es das Licht der Öffentlichkeit, weshalb er noch im selben Jahr verstarb? Dem Totenschein nach war es ein akuter Stoffwechselzusammenbruch infolge von Alkohol, Nikotin und Medikamentenmissbrauch.

Versuchte Tilgener seinen Kummer mit der Kombination zu betäuben? Plagten ihn die Morddrohungen, da er nun ebenfalls als Verräter galt? Oder wollte der Verfassungsschutz ein Muster schaffen, wozu auch Schmückers Tod passte? Tilgeners Tod, so steht es in den Akten, war frei von Fremdeinwirkung.

Die Wolfsburger müssen schuldig gesprochen werden

Der Verfassungsschutz fingierte sogar einen Unfall, wobei belastendes Material deponiert wurde, sodass die Wolfsburger festgenommen wurden. Sie sollten die Schuldenböcke in dem falschen Spiel von Verrat und Wiederverrat werden. Zu den manipulierten Zeugen gehörte wohl auch der Angeklagte Jürgen Bodeux, der bald ein Geständnis ablegte und zum Kronzeugen der Anklage wurde. Auch hier mischte der Verfassungsschutz mit. Behörden blockierten die Auskunft und gerichtliche Anordnungen vewiesen darauf, dass Akten nicht erreichbar wären. Die Berliner Polizei erhielt ausgewählte Infos für die Ermittlungen vom Verfassungsschutz. Aber es gab offenbar auch Absprachen mit der Polizei.

Berliner Justizsystem: Drei Urteile, drei Mal aufgehoben

Der Prozess begann im Februar 1976. Es wurden 15 Verhandlungstage angesetzt. Sechs Personen waren angeklagt. Am Ende dieser Schauprozesse wurde die Angeklagte Ilse Schwipper, die zur Tatzeit 37 Jahre alt war, zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Die anderen wurden nach Jugendstrafrecht mit bis zu acht Jahren Gefängnis belegt. Der Kronzeuge Jürgen Bodeux wurde nach zwei Jahren freigelassen. Ein Raubmordverdacht gegen ihn wurde vermutlich auf Betreiben des Verfassungsschutzes fallengelassen.

In der Revision wurden die Strafen vom Bundesgerichtshof wieder aufgehoben. Es hatten sich zu viele Formfehler angefunden. Erneut wurde ein Prozess angestrebt und wieder wurden die Angeklagten 1979 von den Berliner Richtern zu hohen Haftstrafen verurteilt. Und auch zum zweiten Mal hat die Revision das Urteil ein Jahr später aufgehoben.

Ein dritter Prozess wurde anberaumt. Er dauerte vom Mai 1981 bis Juni 1986. Die Angeklagten saßen zu Beginn bereits neun Jahre im Gefängnis und möglicherweise unschuldig. Abermals verurteilten die Berliner Richter die Wolfsburger Gruppe und verordneten ähnliche Haftstrafen. Auch dieses Urteil hob der Bundesgerichtshof im März 1989 auf. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen war eingebrochen. Es gab zu viele Missstände und Fehler. Allmählich wurde klar, dass auch Jürgen Bodeux für den Verfassungsschutz arbeitete.

Grünhagen: Man lebt nur zwei Mal

Im Verlauf des Jahres 1980 wurde der Außendienstmitarbeiter des Berliner Verfassungsschutzes, Michael Grünhagen, in einem anderen Zusammenhang enttarnt. Dabei ging es auch um die Bewegung 2. Juni in Verbindung mit der RAF. Ein veröffentlichtes Bild in der Presse nötigte Grünhagen abzutauchen. Auch dieser Fall blieb, wie der Mord an Ulrich Schmücker, ungeklärt. Ab 1983 arbeitete Grünhagen als Michael Wegner wieder in Berlin für den Verfassungsschutz. Offiziell verstarb Michael Grünhagen im Jahr 1988. Allerdings fand man weder eine Eintragung noch ein Grab mit seinem Namen.

Die Finger des Verfassungsschutzes

Die meisten Machenschaften des Verfassungsschutzes wurden erst nach dem vierten Prozess in der Wendezeit bekannt. Die Tatwaffe tauchte 1989 im Tresor des Verfassungsschutzes auf. Darauf waren Fingerabdrücke des V-Manns Volker Weingraber und von dessen V-Mann-Führer Michael Grünhagen. Dieser Volker Weingraber hatte für die Tatzeit kein Alibi und noch bedeutender ist wohl der Punkt, dass Weingraber im Besitz der Tatwaffe war. Und er erhielt beträchtliche Gehaltszahlung vom Verfassungsschutz. Wie viele dieser Aufträge möge er erledigt haben? Weingraber jedenfalls leistete sich mit den vielen Zahlungen ein Weingut in der Toskana.

Der Verteidiger, Rechtsanwalt Philipp Heinisch, hatte in seiner Kanzlei einen Praktikanten eingestellt. Christian Hain wurde sogar ein Freund des Anwalts. Doch seine Anwesenheit war kein Zufall. Der diente dem Verfassungsschutz als Spitzel. Er informierte die Staatsanwaltschaft und den Verfassungsschutz über die Erkenntnisse der Verteidigung.

In einem anderen Fall setzte der Verfassungsschutz diesen Hain einige Jahre später erneut ein. Der Ruf, für einen Sprengstoffanschlag verantwortlich zu sein, sollte ihn in die Nähe zur RAF bringen. Dieser Sprengstoffanschlag wurde offenbar vom Verfassungsschutz organisiert.

An jedem Prozesstag in Mordfall Ulrich Schmücker gab es Vertuschungen des Staates. Die Presse deckte damals vieles von dem auf, was die Behörden und der Verfassungsschutz verheimlichen wollten. In Vernehmungen vor Gericht haben sich sogar Polizisten verplappert und plötzlich wurden Akten gefunden und Beweismaterial gesichtet, die in einer Akte für „Unwichtige Beweise“ gefunden wurden.

Letzter Prozess zum Mord an Ulrich Schmücker

Ein letzter Prozess endete 1991 mit der Einstellung des Verfahrens. Es wurden zu viele Fehler gemacht, zu viele Ungereimtheiten hatten sich ereignet und die Manipulationen waren keine Ausnahmen. Die Richterin sah bezüglich des Todes von Ulrich Schmücker eine erhebliche Schuld beim Berliner Verfassungsschutz. Dem zwischenzeitlich und nur offiziell verstorbenen Michael Grünhagen wurde wegen unterlassener Hilfeleistung eine Mitschuld gegeben. Die Angeklagten erhielten eine Haftentschädigung für ihre Inhaftierung in einer Justizvollzugsanstalt, die immerf, dem er nicht gewahin bis zu 15 Jahre andauerte.

Mein Fazit zum Mordfall Ulrich Schmücker

Der Verfassungsschutz, die Staatsanwaltschaft und die Polizei haben bei diesem befremdlichen Akt von Kabale, Verdunklung und Skrupellosigkeit mitgemischt, um den Verfassungsschutz unter offenbar allen Umständen zu schützen. Das gelang zwar nicht, aber es gibt auch offiziell keinen Mörder an Ulrich Schmücker. Es ist nicht nur der längste Prozess Deutschlands, sondern auch der skandalöseste.

Schmücker war kein Heiliger. Er hat den Tod von Menschenleben billigend in Kauf genommen, wenngleich er offenbar nie einen Menschen tötete oder verwundete. Und er hätte wohl nie gedacht, zu welchen Mitteln seine Verfolger greifen. Schmücker wollte sich ehrlich machen, und das mag sein Verhängnis gewesen sein. Er verlor sich in einer Welt aus Lügen und Intrigen, der er nicht gewachsen war. Jedoch wurde er vom Verfassungsschutz zweifellos ausgenutzt. Sein Leben war angesichts der unterlassenen Hilfeleistung offenbar nicht so wichtig für den Verfassungsschutz.

Der Fall weckt außerdem Erinnerungen an die Vorfälle im Rahmen der NSU. Auch hier kamen seltsame Dinge im Prozess zu Tage, auch hier waren V-Leute des Verfassungsschutzes anwesend und auf seltsame Weise auch involviert. Eine Spekulation ist müßig, aber die Ähnlichkeit frappierend.

Mehr Fragen als Antworten – bis heute!

Die unübersehbare, aber vertraulich behandelte Geschichte verdeutlicht die Macht der Behörden, wenn sie sich über die Gesetze erheben. Durch den Versuch, den Vorfall zu verheimlichen, geriet er absurderweise ans Licht. Doch viele Fragen sind nach wie vor offen. Die oberste Frage ist selbstverständlich jene nach dem Mörder oder den Mördern. Auch das wahre Motiv für die Tat ist einzig auf spekulativem Weg zu ergründen. Schließlich gab es weder davor noch danach Fememorde, also Rachemorde aus politischen Gründen in der linksrevolutionären Szene. Aber warum sollte der Verfassungsschutz seinen Agenten töten oder töten lassen? Wurde Ulrich Schmücker zu einem Sicherheitsrisiko? Wie womöglich auch Götz Tilgener?

Und eine ungeklärte Frage bleibt: Wer hat Schmücker enttarnt? Wer lancierte die Info über seine V-Mann-Tätigkeit in die Szene und warnte die Wolfsburger Gruppe? War das tatsächlich ein Linksradikaler in den Reihen des Verfassungsschutzes? Hat vielleicht der Verfassungsschutz selbst die Hinweise platziert? War es Grünhagens Idee, ihn zu exekutieren, um die Schuld dann der linksradikalen Szene zuzuschieben?

Vielleicht hat sogar noch eine andere Institution an der Geschichte mitgewirkt, die im Hintergrund blieb? War die StaSi vielleicht in diese Geschichte involviert? Schließlich verhalf die StaSi den ehemaligen RAF-Terroristen zu einer neuen Identität in der DDR. Haben also die Agenten der StaSi die Bewegung 2. Juni und die Wolfburger Gruppe vor Schmücker gewarnt?

Doku über den Schmückermord

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert