Wo heute der Teltower Damm seinen Weg durch das zentrale Zehlendorf zieht, lag einst die Hauptstraße. Wir gehen zurück ins 19. Jahrhundert, als Zehlendorf noch ein landwirtschaftlich geprägtes Dorf war. Wo heute das Rathaus von Zehlendorf stand, war damals landwirtschaftlich genutztes Gelände. Es gab Bauernhöfe, es gab Ackerfläche und es gab noch keinen Bürgermeister, sondern einen Schulzen. Betrachten wir das Areal des Rathauses als auch des daneben gelegenen Hauses am Teltower Damm 20. Ihre Geschichten sind miteinander verwoben.
Im Stil des Historismus steht heute neben dem Rathaus entlang des Teltower Damms ein Wohn- und Geschäftshaus. Im 19. Jahrhundert war das Gelände spärlicher bebaut. Der größere Teil war eine Ackerfläche des Bauernhofs 18. Dieser war im Besitz der Familie Weber, die urkundlich bis ins 17. Jahrhundert zurückgeht. Konkret wird die Jahreszahl 1689 genannt.
Im Jahr 1778 übernahm die Familie Gaebert das Gehöft von den Webers. Diese wollte das Areal auch erweitern. Das gelang nach einem Brand in Zehlendorf. Im 19. Jahrhundert waren Brände eine allzu tägliche Gefahr, nicht nur in Berlin. Im Jahr 1843 brannte die Oper aus. Zehlendorf gehörte zu dieser Zeit noch zum Kreis Teltow und nicht zu Berlin, doch auch hier war es brandgefährlich. Im März, November und Dezember 1843 kam es auf dem Gelände des Lehnschulzen, das am westlichen Dorfanger lag, zu Scheunen- und Stallbränden. Die Flammen erreichten auch das benachbarte Bauerngut Nummer 19, das anschließend von der Familie Gaebert erworben wurde. An die Nordseite des Lehnschulzenguts grenzte übrigens der heutige Kastanienhof an. Das Gelände des Schulzen von Zehlendorf, dem eingesetzten Verwalter, war größer als die anderen Höfe.
Nach dem Tod des Mannes Gaebert heiratete seine Witwe 1885 einen Mann namens Gustav Schulze, mit dem sie den Hof bis zur Jahrhundertwende betrieb. Um das Jahr 1900 erwarb ein Herr Gradenwitz den Hof. Dabei handelte es sich um Adolf Gradenwitz. Dieser Adolf Gradenwitz eröffnete in dieser Zeit in Zehlendorf auch ein Licht-, Luft- und Sonnenbadegelände. Damit endet die landwirtschaftliche Nutzung der Fläche, wo heute das Rathaus steht. Für die Recherche sei an der Stelle auch Dietmar W! Mietzner gedankt!
Ab 1908 bis 1909 entstand auf dem Gelände das heutige Bauwerk, das auch seinerzeit als Wohn- und Geschäftshaus diente. Die Planung erfolgte durch die Architekten Bastian & Kabelitz. Dieses Architektenbüro stand auch hinter dem Landhausbau in der Lindenthaler Allee 30. Sie fühlten sich offenbar dem neuen Heimatgefühl des Nationalismus verpflichtet. Auch der Historismus war mit den Ideen des Nationalismus aufgeladen. So glaubte man damals, dass der Stil der Gotik mit den Goten zu tun gehabt hätte. Und man glaubte sich in der Tradition der alten Germanenstämme. Tatsächlich aber hieß der Stil der Gotik zu seiner Zeit „Französischer Stil“. Auch der Neobarock gehört dem Historismus-Stil an. Das Haus am Teltower Damm 20 hat vor allem Elemente des Neobarocks. Dies ist vor allem an der herausragenden Fassadeverzierung zu erkennen. Die eingerollten Schnecken haben ihren Ursprung im Barock. Aber das Haus trägt auch Züge der Renaissance, wie es die Pilaster (die Säulen in der Fassade) darstellen. Derart vermischen sich die Baustile im Historismus auch.
Nachdem die Sowjets im April 1945 recht schnell über den Teltowkanal kamen, obwohl viele Brücken gesprengt wurden, zog die Militärverwaltung in dieses Haus ein. Der Landwirt Georg Schulze wurde mit der Verwaltung beauftragt. Offenbar sagte der sowjetische Kommandant zu ihm: „Deine Wohnung – meine Wohnung. Du Bürgermeister!“.
Das bereits erwähnte Bauerngut 19, das nördlich von dem gerade besprochenen Gut lag, tritt 1811 urkundlich in Erscheinung. Damals erwarb es der Dorfschulze Georg Haupt für 1.610 Taler bei einer Versteigerung. Das Gut war zu dem Zeitpunkt wirtschaftlich am Ende. Haupt verkaufte an die Güthlings, die damit ihre Expansionspläne vorantrieben. Sie waren einst Hausknechte und nun Landwirte. Doch der Hof brannte 1843 ab. Das Gelände erwarb das Unternehmen Cohn & Rosenthal.
Die Sackgasse der Kirchstraße war damals noch keine Straße. Es war eher ein Fußweg, um zu einem Feld zu gelangen. Dieser Teil von Zehlendorf gehörte ab 1760 zum Lehnschulzengut. Ab dem 19. Jahrhundert hatte sich die Milchviehhaltung der Familie Piehl etabliert. Die Straße entstand 1903 anlässlich des Baus der Pauluskirche.
Die Zeit des Dorfschulzen war 1920 vorüber. Auf dem Gelände des ehemaligen Bauernhofs entstand nun das Rathaus von Zehlendorf im Jahr 1929. Denn Zehlendorf gehörte nunmehr seit neun Jahren zu Groß-Berlin und bildete den 10. Verwaltungsbezirk der Stadt.
Doch das Geld für den Bau eines Rathauses ließ auf sich warten. Erst 1926 wurde das Vorhaben bewilligt. Dem ging ein Architekturwettbewerb voraus, bei dem ein zeitgenössischer Bau gewünscht war, der sich in das Stadtbild einbettete.
Im Jahr 1925 gewann diese Ausschreibung der Vorschlag von Eduard Jobst Siedler und seinem Angestellten Peter Otto Bongartz. Das Rathaus vereinte die sich gegenüberliegenden Baustile der Zeit: Reformarchitektur und Neoklassizismus. Auch diese Art der Melange früherer Baustile gehört zum Baustil des Historismus, der in diesen Tagen des Öfteren zu finden ist. Die Reformisten wollten modernisieren, während der Neoklassizismus die Vergangenheit als Vorbild hatte. Die unterschiedlichen Arten des Bauens avancierten zu einem Politikum, das sich beispielsweise am Zehlendorfer Dächerkrieg verdeutlichte. Der Architekt Siedler wurde 1926 zum Professor an der TU Berlin berufen. Das Rathaus von Zehlendorf wurde 1929 fertiggestellt. Im Stil der modernen Architektur entwarf Siedler 1928 den Wohnblock in der Sodener Straße 24-40 im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Zudem war er am Erweiterungsbau der Reichskanzlei beteiligt. Während der NS-Zeit und im Krieg machte sich Siedler zudem einen Namen als Baumeister bei Bunkern.
Nach der Machtübernahme der Faschisten 1933 wurden auch die vermeintlich undeutschen Mitarbeitenden des Bezirksamts Zehlendorf entlassen und verfolgt. Das galt noch mehr für die politisch Aktiven des Bezirks. Darauf verweist eine kleine Plakette am Rathaus.
Im Bürgersaal des Rathauses fand nach dem Krieg das Kino „Zeli“ ein vorübergehendes Zuhause. Das Zeli stand dort, wo heute der Zeli-Brunnen steht. Der letzte Film wurde 1958 gezeigt. Zu diesem Zeitpunkt gab es wieder genügend Platz für Lichtspielhäuser und die Zahl der Kinos nahm auch wieder zu.
Im Jahr 2013 kam es dann zu einem Eklat bezüglich einer geplanten Sanierung. Der CDU-geführte Bezirk versenkte 1,5 Millionen Euro Steuergeld in dem Gebäude, ohne dass es dafür eine Verbesserung der Bausubstanz gab. Die Bezirksregierung wollte das Rathaus seit dem Jahr 2009 energetisch sanieren. Angedacht waren zuerst elf, dann 14 Millionen Euro. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Schließlich schlug die Sanierung mit rund 35 Millionen Euro zu Buche. Das Projekt wurde gestoppt und die oppositionelle SPD sah darin die Schuld des damaligen Bezirksbürgermeisters Norbert Kopp (CDU) und forderte dessen Rücktritt. Dies geschah zwar nicht, aber er wurde intern von der CDU durch Cerstin Richter-Kotowski ersetzt, die im Anschluss das Bürgermeister*innenamt übernahm.
Als die Bezirksregierung schließlich im Jahr 2010 die Reißleine zog, waren aber bereits 1,5 Millionen Euro verloren gegangen. Die Bezirksregierung hatte Haushaltsregeln und Bauvorschriften missachtet und deklarierte die Sanierung zudem als Investitionsmaßnahme. Das Projekt SARAZENU „Sanierung Rathaus Zehlendorf Energie Null“ war ein Reinfall und ging auf das Konto der damaligen CDU-Regierung. Eine Sanierung ließ weiter auf sich warten. Der Rechnungshof hatte dem damaligen Bezirk grobe Fehler vorgeworfen, die sich auch bewahrheitet haben. Es wurde falsch berechnet, der Bedarf wurde falsch ermittelt, die Wirtschaftlichkeit war nicht gewahrt worden und es fehlte an planerischer Genauigkeit. Eine Konsequenz hatte das durchaus schludrige Vorhaben für die Bezirksregierung allerdings nicht.
In diesem Artikel ist der ganze Vorfall aufgedröselt.
Im Jahr 2022 wurde ein offener Brief der Mitarbeitenden im Bezirksamt publik. Darin beklagten die Angestellten, dass das Rathaus in einem erbärmlichen Zustand sei. Im Jahr 2019 wurde Asbest gefunden. Der giftige Brandschutz war offenbar rein zufällig aufgefallen. Außerdem, so die beklagten Missstände, seien Wasserleitungen marode und die Fassade sei gemeingefährlich, da sie drohe herabzufallen. Eine Untersuchung von 2018 zeigte verschiedene Konzepte auf, wie man mit dem Gebäude umgehen sollte. Die Angestellten forderten einen Umzug in bessere Räumlichkeiten. Der Plan wurde aber mit Blick auf die Kosten eines Umzugs verworfen. Das Konzept hätte in etwa 750.000 Euro gekostet. Inzwischen gab es einige Reparaturen, wie die an der Fassade des fast 100-jährigen Gebäudes. Nun soll ein Neubau Abhilfe schaffen. Noch in diesem Jahrzehnt wird das Rathaus neu gedacht.
Noch vor dem hundertjährigen Jubiläum der Fertigstellung im Jahr 2029 soll das Rathaus modernisiert und erweitert werden. Im Jahr 2021 gewann der Entwurf von MLA+ / Lohrengel Landschaft den Wettbewerb, der das Rathaus zu einem „publikumsorientierten Service- und Verwaltungsstandort“ umbauen will. In dem Neubau sollen die Bibliothek, eine Musikschule, die Volksschule und Gastrobetriebe untergebracht werden.
Der Entwurf von MLA+ / Lohrengel setzt auf eine Gesamtheit, die dem Denkmalschutz gerecht werden soll. Im zentralen und grünen Innenhof sollen Glasfassaden für Licht sorgen. Diese Offenheit will man auch inhaltlich schaffen, sodass das künftige Rathaus eine beliebte Anlaufstelle wird.
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