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Mutter Mochnow bis zum Düppel Camp für jüdische DPs

Das Haus in der Potsdamer Chaussee 87 war in den Tagen des Kaisers ein beliebtes Ausflugslokal und eine bedeutende Raststätte für Berlin. Es nahm als „Haus Mochnow“ seinen historischen Lauf und erreichte als „Mutter Mochnow“ berlinweite Prominenz. Das Ende des Gasthauses war der Anfang als Lager. Zunächst für das deutsche Heereskommando, dann für eine US-Infanterie Division und für drei Jahre als DP Camp Düppel für die jüdischen Displaced Persons. In dieser Zeit wurde das Lager-Gelände, das über den angrenzenden Yehudi-Menuhin-Park hinausging, zu einer eigenen Insel in der Insel West-Berlins.   

Die Geschichte des Hauses an der Potsdamer Chaussee 87 beginnt am Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Ausbau der Chaussee. Das ist auch der Grund, warum es das einzige Haus entlang des 2,5 Kilometer langen Abschnitts der Potsdamer Chaussee ist, das direkt an der Straße liegt.

Eine Gedenktafel erinnert an die dunkle Zeit der Nazis, die Leid über ganz Europa brachten. Hier war zeitweise ein Lager für diejenigen, die die Deutschen von ihrer Heimat entwurzelt hatten. Doch die Geschichte dieses Hauses geht zurück bis in die Zeiten der Kolonie Neu-Zehlendorf entlang der Potsdamer Chaussee – dem Straßenprojekt des Königs zur Verbindung seiner Residenzschlösser. In diesen Tagen war es jedoch noch eine ungepflasterte Straße, die qua Märkischem Sand und Schlamm einige Strapazen verursachte.

Gasthaus Mochnow: Geschichte des Hauses Chaussee

Es war ein Gasthaus, das entlang der einsamen, aber prächtigen Potsdamer Chaussee für Abwechslung und Erholung sorgte. Wo es vor dem Chausseebau nur Wald und Wiesen gab, entwickelte sich an dieser Stelle eine neue Kolonie mit Namen „Neu-Zehlendorf“.

Das erste Haus an der Stelle war zwar im Stil der Kolonisten erbaut, diente aber tatsächlich von Beginn an als Raststätte für die Reisenden und die zunehmende Anzahl der Fuhrwerke. Schon 1796 bewirtete das Gasthaus Mochnow hierin sowohl Fahrer als auch Erholungssuchende aus Zehlendorf oder Berlin.

Der Gastwirt war Albert Mochow. Er gab dem Haus seinen Namen. Er verstarb im Jahr 1881, worauf hin seine Frau Anna das Gasthaus betrieb. Und bald schliff sich ein neuer Name für das Gasthaus ein, nämlich „Mutter Mochow“. Gemeint war zunächst die Witwe Anna Mochow. Doch das Haus blieb für Generationen in der Hand der Mochows.

Die Gaststätte war damals die erste Anlaufstelle für Fuhrwerke, die den Glienicker Berg nicht bezwangen. So unterhielt die Raststätte auch Pferde, die den schweren Lastkarren über den Berg halfen.

In den Jahren von 1896 und 1897 erbaute man ein neues Haus an dieser Stelle. Dieses Mal wurde es im Stil der Zeit errichtet. Es musste mit dem gestiegenen Verkehrsaufkommen von 40 bis 50 Fuhrwerken klarkommen, die Güter nach Berlin transportierten. Die Chaussee avancierte zu einer der wichtigsten Straßen Berlins. Im Jahr 1927 übernahm der Sohn mit seiner Frau, die ebenfalls Anna hieß, das Gasthaus. Mit vollem Mädchennamen hieß sie Anna Frieda Müller.

Das Gasthaus Mutter Mochnow war beliebt, wohl auch wegen des Talents der Wirtin und ihren Kochkünsten. Das Gasthaus warb auf Plakaten mit ihrem Hit: der Erbsensuppe. Der Preis war niedrig und das Publikum zahlreich. Mit der Motorisierung des Verkehrs eröffnete auch eine Tankstelle neben der beliebten Raststätte. Ab 1935 erhielt die Chaussee den neuen Namen Reichsstraße 1. Sie sollte ausgebaut werden. So wurde die Straße für das Lokal vom Segen zum Fluch, denn sie stand im Weg. Das lag auch am Plan, an der Stelle eine Reichskriegsakademie zu errichten.

Mit dem Krieg lief das Geschäft schlecht und die Rationalisierung von Treibstoff reduzierte den Verkehr. So kam es 1940 zum Ende des Gastbetriebs. Es blieb der Name des Wegs „Mutter Machow“, der sich durch den Park zieht.

Die Wahrheit entspricht im Übrigen nicht der vielverbreiteten Darstellung, dass an die Tankstelle neben dem Gasthaus „Mutter Mochnow“ der Film „Die Drei von der Tankstelle“ gedreht wurde. Allerdings diente das Areal tatsächlich als Kulisse für Filme.

Verschwörer und DP-Camps

Ab 1941 wurden in dem Gebiet einige Baracken für das Oberkommando des Heeres gebaut, denn die Bomben hatten in Berlin bereits viel zerstört. Mutmaßlich wurde das Lager damals von Kriegsgefangenen errichtet. Wo heute der Waldfriedhof Zehlendorf ist, lag damals noch das Kriegsgefangenenlager Wiesengrund, dessen Name ebenfalls auf eine Kneipe zurückgeht, welche aber am Königsweg lag.

In diesen Baracken waren hochrangige Generäle des NS-Regimes, darunter auch der Hitler-Attentäter Graf von Stauffenberg. Hier kamen auch die Verschwörer Hitlers zu geheimen Treffen zusammen, um das Attentat vorzubereiten. Der Anschlag misslang bekanntlich und die Verschwörer wurden hingerichtet.

Schon 1943 wurde deutlich, dass die Kriegswirren in Europa Millionen Menschen heimatlos machten. Viele Menschen wurden deportiert, Tausende waren nunmehr einer Verfolgung ihrer Heimat ausgesetzt oder die angestammten Gebiete lagen nach dem Krieg in anderen Ländern. Europaweit, so die Schätzungen der Alliierten damals, konnte man etwa mit 21 Millionen sogenannter Displaced Persons rechnen.

Die US-Administration prägte den Begriff Displaces Persons, den man mit versetzten Personen übersetzen kann. Konkret bezog sich der Begriff auf Personen, die von den Deutschen verschleppt und durch die Alliierten befreit wurden. Oder jene, die aus Angst um ihr Leben umsiedeln mussten – mit Ausnahme der Deutschen.

Allein in Deutschland hielten sich damals annähernd sieben Millionen DPs auf. Ein Großteil davon stellten befreite KZ-Häftlinge, Zwangsarbeitende und bezahlte Arbeiter. Von den eigenen Wurzeln getrennt, waren Abertausende Displaced Persons (DPs) in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gestrandet. Ihr Weg führte sie aus den Straflagern der Nazis in Übergangslager der Alliierten. Das Größte davon stand in Zehlendorf.

Diese Masse an Menschen brauchte denn Versorgung und ein Dach über dem Kopf. Man organisierte Durchgangslager. Das Konzept kopierte den Ansatz der britischen Militärverwaltung im Nahen und Mittleren Osten – von der Türkei bis nach Syrien – wohin sich viele Menschen aus Griechenland, Polen, der Slowakei und aus Tschechien hin flüchteten. Die Heimkehr der Displaces Persons (DPs), zu der sich die Alliierten auf der Jalta-Konferenz verpflichteten, sollte die UN übernehmen. Mit der Organisation der Camps betraute man die UNRRA, die später durch die IRO ersetzt wurde. Bis 1946 wurden tatsächlich sechs Millionen Menschen wieder beheimatet, aber nicht alle konnten oder wollten an ihren Ursprungsort zurück.

Die meisten dieser DP-Camps wurden in den US-Sektoren errichtet, wobei das erste Durchgangslager im sowjetisch besetzten Teil Berlins entstand. Und jüdische DPs wurden in eigenen Camps untergebracht, da sich in diesen Auffanglagern auch Kollaborateure befanden. Dies war angesichts der Gräuel unerträglich. Doch die Unterbringung war notdürftig und die Zustände waren entwürdigend. Daher wurden die so geschundenen DPs auch in bereits bewohnten Häusern untergebracht, notfalls sollten die Deutschen in die ehemaligen KZs umziehen. Erst durch die Anordnung des US-Präsidenten Truman den Bau von Wohnungen zur forcieren, entspannte sich die Situation.

Das DP Camp: Düppel Center – Eine Insel in West-Berlin

Im Jahr 1945 waren weite Teile von Berlin zerbombt. Die Zahl der Wohnungen war stark reduziert und dennoch kamen Geflüchtete aus dem Osten nach Berlin. Darunter waren auch viele jüdische Menschen, die weitere Repressionen fürchteten.

Die ersten Lager reichten bald nicht mehr aus und auch dort, wo heute die John F. Kennedy Schule ihren Sitz hat, war ein rasch zu eng werdendes Lager für DPs. Hierin versammelten sich Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene ohne jüdischen Glauben. Doch die Masse an unterzubringenden Menschen und die Unstimmigkeiten der Besatzungsmächte gestaltete eine Trennung der Gruppen bald unmöglich.

Der drohende Kalte Krieg zeichnete sich im Berlin mit Nachdruck ab. In der Frage der Unterbringung der Geflüchteten platzte den Sowjets der Kragen am 4. Januar 1946. Die sowjetische Administration erklärte, dass innerhalb von zwei Tagen alle 2.500 Menschen jüdischen Glaubens nach Prenzlau gebracht werden sollten. Die Ankündigung sollte nach 48 Stunden greifen. Viele jüdische Überlebende drängten in den US-Sektor. Der Eklat war sicherlich auch von Versorgungsmängeln vermischt. Die US-Administration musste die Situation bewältigen.

Am 12. Januar gründete das UNRRA das DP-Lager „Düppel Center“ an der Potsdamer Chaussee als eines von dreien für Menschen jüdischen Glaubens. Es beherbergte etwa 5.000 Personen auf der Durchreise zu ihren jeweiligen Bestimmungsorten. Das Haus an der Straße war damals ein Verwaltungsgebäude des zwölf Baracken umfassenden Komplexes, worin die 78. US-Infanterie Division einkaserniert war. Noch im selben Jahr wurde das Lager in Mariendorf eröffnet und schließlich eines in Wittenau.

Per Erlass wurden diese letzten Zufluchtsorte der jüdischen Überlebenden unter Selbstkontrolle gestellt, sodass auf dem Gelände des Düppel Centers koscher gekocht wurde, es gab eigene Organisationen, Schulen und es wurde jiddisch gesprochen. Dort galten nur die Gesetze und die Gerichte der jüdischen Gemeinde. Sie stellten eine Insel innerhalb der Insel West-Berlins dar. Der Zutritt war Deutschen nicht gestattet. Das Lagerleben war sehr bunt und vielseitig. In diesem Camps, wie auch im Düppel Center, warb die paramilitärische Organisation „Haganah“ Kämpfer an, die die vorstaatliche Armee des späteren Israels bildete.

So lebendig das Leben im Lager auch war, es war zuvorderst voll. Die Möglichkeiten für eine Ausreise in die USA oder Palästina waren begrenzt. Doch immer mehr Menschen drängten in das Durchgangslager bis 1948.

Mit der Blockade Berlins durch die sowjetischen Truppen und der drastischen Verknappung der Lebensmittel und Güter wie Kohle eskalierte die Situation für die Lager. Die allermeisten DPs wurden freiwillig oder zwangsweise aus Berlin herausgeholt. Der Militärgouverneur der USA in Berlin, Lucius D. Clay, fürchtete, dass man das als Aufgabe Berlins interpretieren könnte. Letztlich erlaubte er die Schließung der Lager. Das betraf auch das Düppel Center, das Ende Juli 1948 geschlossen wurde. Die Rosinenbomber, die vorher Kohle und Lebensmittel brachten, flogen mit diesen DPs wieder aus.

Die leer gewordenen Baracken dienten bald DDR-Geflüchteten als zeitweise Unterkunft. Sie teilten sich die Räumlichkeiten mit ärmeren West-Berliner*innen, die sich keine Wohnung leisten konnten. Schließlich wurden die Baracken in den 70er Jahren abgerissen und nichts weist auf ihre frühere Existenz hin – außer dem Gebäude und der Gedenktafel an diesem Haus in der Potsdamer Chaussee 87.

Tipp: Der Heimatverein Zehlendorf informiert gleich in zwei Ausgaben über die Geschichte des Orts. Das Gasthaus Mutter Machnow wird im Jahrbuch 2021 von Dietmar Mietzner vorgestellt und Matthias Aettner widmete sich im Jahrbuch 2016 mit detaillierteren Schilderungen zum jüdischen Leben in Berlin-Zehlendorf kurz nach dem Krieg.

Infotafel DP Center Düppel

Wo befindet sich das Haus?

  • Potsdamer Chaussee 87
  • 14129 Berlin
  • GPS: 52.42813917779239, 13.218559514653949
meister

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