Im Jahr 1928 fuhr eine Demonstrationskutsche von Berlin-Wannsee nach Paris. Ein Medienereignis, das Gustav Hartmann, den „Eisernen Gustav“, weltberühmt machte.
Es ist unklar, ob Kaiser Wilhelm II tatsächlich kundtat, dass das Automobil eine vorübergehende Erscheinung sei. Er würde das Pferd bevorzugen. Aber es gab zu der Zeit tatsächlich eine Verkehrswende, wie man heute sagen würde. Während sich heute das Auto verteidigen muss, waren es damals Kutschen.
Die Pferdekutsche nahm vermutlich ihren Anfang in Berlin. Es herrscht ein Zwist, ob sie zunächst in Frankreich entwickelt wurde. Hierzulande gilt Philip de Chiese als Erfinder, der sie in Brandenburg entwickelte. Wegen einer anderen Fahrt nach Paris führte sie vom 17. Jahrhundert an ihren Siegeszug über ganz Europa fort. Das Fuhrwerk wurde auch in Frankreich Berline genannt.
Aus dem Zweisitzer wurde ein Viersitzer und schließlich ein Cabrio: die Droschke kam mit einem Faltdach in Mode. Den Beruf nennt man Fiaker und ihre Kundschaft war eher gut betucht.
Doch mit dem beginnenden 20. Jahrhundert versetzten motorisierte Automobile den Verkehr in Unruhe. Ein Kutscher sieht diese Entwicklung kritisch und fordert die Beibehaltung der Kutsche als Fortbewegungsmittel, wie sich jene in diesen Tagen über das Ende des Autos echauffieren.
Gustav Hartmann | Der letzte Kutscher
Dem Kutschenfahrer Gustav Hartmann gingen langsam die Kunden aus. Immer mehr Fahrzeuge, sogenannte Kraft-Droschken, füllten die Straßen in Berlin im Jahr 1928. Ihr Siegeszug war nicht mehr aufzuhalten. Die Industrialisierung hat die Gesellschaft und die Art zu Leben geändert. Eine Zeitenwende wurde erlebt. Gustav Hartmann betrieb seit 43 Jahren ein Fuhrunternehmen in Wannsee. Ein Jahr zuvor wurden keine Genehmigungen für Pferde-Droschken erteilt. Tag ein und Tag aus stand Gustav am Bahnhof in Wannsee, was ihm den Namen „Eiserner Gustav“ eingebracht hatte. Er warb auf seiner Kutsche damit, dass er der älteste Fuhrherr von Wannsee war. Dort stand:
„Der älteste Fuhrherr von Wannsee, Gründer der Wannsee-Droschken, erlaubt sich, mit der Droschke 120 die letzte Fahrt Berlin-Paris zu machen, da das Pferde-Material im Aussterbeetat steht.„
Aus Protest gegen die Autos und dem Aussterben seines Berufsstands, aber auch für die Völkerfreundschaft und um einer Dame einen Besuch abzustatten, unternahm er am 2. April 1928 eine Demonstrationsfahrt mit seiner Kutsche Nr. 120 und seinem Wallach Grasmus. Das Ziel war das Hin und zurück ins über 1.000 Kilometer entfernte Paris. Zuvor wettete er mit einem Kneipenwirt um einen Sack Hafer, dass er es tun würde.
Die Kutsche war mit Postkarten, die sein Abbild trugen, bestückt. Das markante Aussehen mit weißem Zylinder und dem langen Bart schufen ein Medienereignis. Weder Landkarte noch Sprachkenntnisse, konnte Gustav Hartmann vorweisen. Das machte ihn zum treuen Verfechter der alten Zeit mit Stil und Charme. Außerdem traf er einen Nerv der Zeit, nämlich die Nostalgie an eine Zeit, in der es leiser in der nicht stinkenden Luft zuging.
Gegenüber den Zeitungen äußerte er: „Meine Fuhre nach Paris is’n Begräbnis“ und bezog sich auf Aussterben des Berufszweigs. Der Reporter Hans Hermann Theobald begleitete den Kutscher zeitweise auf seiner Fahrt. Denn die Presse war begeistert von der Aktion. Theobald vom Ullstein-Verlag bezahlte dafür 1.000 Mark. (Das wären heute rund 80 Euro)
Sein Vorbild für die Aktion war eine französische Abenteurerin, die von Paris nach Bukarest ritt. Er traf sie, als sie nach Wannsee kam. Er wollte sie im kommenden Jahr besuchen, wie er ihr mitteilte. Das war schließlich der Auslöser für die Demonstrationsfahrt nach Paris, und er gewann die Wette mit dem Wirt.
Bei seinen Kollegen stieß Hartmann auf Skepsis, vor allem angesichts der „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich. Dennoch fuhr er tatsächlich über Magdeburg, Braunschweig, Hildesheim, Bielefeld, Unna, Köln, Trier, Perl, Metz, Verdun, Epernay bis nach Paris. Gerade auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs gedachte der Preuße dem Frieden.
Am 4. Juni, seinem Geburtstag, erreichte Hartmann Paris und wurde mit Jubel empfangen. Er wurde zum Bankett in der Deutschen Botschaft geladen und traf sich mit französischen Fuhrunternehmern. Die internationale Presse feierte ihn und sogar die Promi-Szene posierte mit ihm. Die Frau, deretwegen er nach Paris gefahren war, war aber längst zu einem neuen Abenteuer aufgebrochen.
Als der Kutscher am 12. September 1928 wieder durch Brandenburger Tor in Berlin fuhr, wurde er abermals frenetisch empfangen. Zahllose Menschen feierten seinen legendären Einzug. Doch der Jubel war schnell verklungen und das Metier war nicht mehr zu retten. Hartmann verkaufte fortan Postkarten und sein Pferd wurde zum Milchtransport eingesetzt. Seine Geschäftsräume wurden in den 30er Jahren angezündet und ein Finanzberater betrog ihn um das Geld seines Ruhms.
Seine Geschichte wurde von Hans Fallada in einem Roman festgehalten, wenn auch mit verändertem Inhalt. Gustav Hartmann, der Eiserne Gustav, traf den Tod am 23. Dezember 1938 bei einem Schlaganfall. Sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof von Wannsee. Seine Frau überlebte ihn um zehn Jahre.
Im Heimatmuseum von Zehlendorf sind seine Jacke, sein Reisepass mit den Stempeln und einige Zeitungsartikel erhalten. Seine Jacke zieren etliche Abzeichen der Städte, die er bei seiner Fahrt durchquerte. Darunter auch ein Zeichen von Opel, denn der Droschkenfahrer hatte selbst ein Auto.